München, 04.05.2020. Die Einschätzung der EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston wird nicht nur VW, sondern auch vielen anderen Autoherstellern wie Daimler laut in den Ohren klingeln. Sie machte am 30. April in ihrem Schlussantrag zum Verfahren C-693/18 vor dem EuGH deutlich, dass jegliche Abschalteinrichtung, die zur einer Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, illegal ist. Das betrifft nicht nur die Abschalteinrichtung in dem durch den Abgasskandal bekannt gewordenen VW-Motor des Typs EA 189, sondern grundsätzlich auch jede andere Einrichtung, die zu einer Erhöhung des Emissionsausstoßes im realen Straßenverkehr führt.
Thermofenster bei Mercedes-Dieseln auch illegal
„Nach dieser Einschätzung sind beispielsweise auch die Thermofenster, die Daimler bei vielen Mercedes-Dieselfahrzeugen bei der Abgasreinigung verwendet, illegal. Folgt der EuGH dem Antrag der Generalanwältin, würde der Abgasskandal in eine ganz neue Dimension eintreten und Millionen Fahrzeuge verschiedener Hersteller von VW bis Daimler wären betroffen“, sagt Rechtsanwalt Franz Braun, CLLB Rechtsanwälte.
In dem Verfahren vor dem EuGH geht es zwar um einen VW mit dem Dieselmotor des Typs EA 189. Sollten die Richter des EuGH aber dem Antrag der Generalanwältin folgen, wäre nicht nur VW betroffen, sondern auch auf andere Autobauer käme wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vermutlich eine Klagewelle zu.
Die Generalanwältin führte aus, dass Abschalteinrichtungen grundsätzlich illegal sind, wenn sie im realen Straßenverkehr zu einem erhöhten Emissionsausstoß führen. Damit kommen auch Funktionen wie das Thermofenster, bei dem die Abgasreinigung in bestimmten Temperaturbereichen reduziert bzw. ganz abgeschaltet wird, ins Spiel.
Thermofenster ist auch eine unzulässige Abschalteinrichung
Daimler benutzt diese Funktion bei zahlreichen Mercedes-Modellen und begründet dies damit, dass dies aus Motorschutzgründen notwendig sei, beispielsweise um den Motor vor Versottung zu schützen. „Mit dieser Argumentation kommt Daimler nicht mehr durch. Die Generalanwältin machte klar, dass Abschaltfunktionen nur in ganz engen Ausnahmen zulässig sind, etwa um den Motor vor unmittelbaren oder plötzlichen Schäden zu schützen, nicht aber vor Verschleiß oder Verschmutzung. Thermofenster, die schon bei Temperaturen, die über viele Wochen im Jahr üblich sind, für eine Reduzierung der Abgasreinigung sorgen, gehören nicht zu diesen Ausnahmen“, erklärt Rechtanwalt Braun.
Die Generalanwältin führte aus, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt, wenn durch dieses Konstruktionsteil Parameter wie beispielsweise Temperatur erkannt werden und die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im realen Fahrbetrieb verändert wird. Rechtsanwalt Braun: „Das ist bei Thermofenstern der Fall. Hier kann die Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Temperatur reduziert werden.“
Zudem stellte die Generalanwältin klar, dass die Autohersteller nach der Verordnung Nr. 715/2007 dafür sorgen müssen, dass die Grenzwerte für den Emissionsausstoß während des gesamten normalen Betriebs eingehalten werden. „Auch das ist bei Thermofenstern nicht der Fall“, so Rechtsanwalt Braun.
Chancen auf Schadensersatz so hoch wie noch nie
Die Chancen, Schadensersatzansprüche im Abgasskandal gegen Daimler durchzusetzen, sind damit weiter gestiegen. Der Bundesgerichtshof hatte Mercedes-Kunden bereits mit Beschluss vom 28. Januar 2020 den Rücken gestärkt (Az.: VIII ZR 57/19). Der BGH hatte klargestellt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung auch dann vorliegen kann, wenn es keinen Rückruf des Fahrzeugs durch das Kraftfahrt-Bundesamt gibt. Der Rückruf sei keine Voraussetzung. Auch der Kläger müsse nicht im Detail darstellen können, wie die Abschalteinrichtung funktioniert. Er reiche, wenn er hinreichende Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung liefert. Dann müsse das Gericht dem Kläger auch Gehör schenken und dürfe z.B. ein Sachverständigengutachten nicht ablehnen.
„Damit hat der BGH die Beweisführung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Daimler bereits erheblich erleichtert. Nach den deutlichen Ausführungen der EuGH-Generalanwältin sind die Chancen auf Durchsetzung der Schadensersatzansprüche noch einmal wesentlich gestiegen“, sagt Rechtsanwalt Braun.